1. Einleitung

Am Anfang dieser Arbeit steht eine Faszination, die Faszination Filmtrailer anzusehen. Oft sitze ich mit Freunden gemeinsam vor dem Laptop, wir klicken uns auf YouTube durch zahlreiche Filmneuankündigungen und lassen uns von der Aussicht auf das nächste große Filmereignis beeindrucken. Der Trailer beschwört die Kraft des Kinos in unseren Wohnzimmern herauf, indem er die Geschichten, die dort erzählt werden, auf ihren ureigensten Kern konzentriert; auf die Komödie, auf das Drama, auf die Liebe, den Hass, die Gefahr, die Katastrophe, auf eine oft beinahe mythische Dimension. Und indem er dies tut, bringt er in einer Leichtigkeit und Intensität den Wahrnehmungsraum Kino in unserer Vorstellung zu uns nach Hause. Wir wissen zwar, dass hinter den kurzen Clips geschickte Marketingstrategien stecken, die uns dazu bringen, wollen den Film in voller Länge im Kino anzusehen und dafür zu bezahlen. Doch lassen wir uns gerne überreden, da wir Zeugen zwingender und tiefgreifender Geschichtserzählung sein wollen. Der Trailer ist sozusagen ein Zuarbeiter für die Aura des Kinos und die Werbeindustrie macht sich dies geschickt zu Nutze.

Durch erste Internetrecherchen erfuhr ich, dass vor großen Filmereignissen mittlerweile spezielle Premieren für den Trailer in Kinos inszeniert werden, dass es eigens für Trailer ins Leben gerufene Preisverleihungen, z.B. den Golden Trailer Award oder den Key Art Award gibt, dass Trailer den dritten Platz der meistgesuchten Videoclips im Internet belegen und die Anzahl der Views die Betrachtung der Filme bei weitem übersteigt, dass sich tausende User auf Videoplattformen wie Youtube daran versuchen, eigene Trailer zu erstellen, umzuschneiden oder zu parodieren, und dass das Phänomen Trailer zum Teil groteske Züge annimmt, wenn Internetuser sich und ihre Reaktionen auf einen Trailer filmen, um dies wiederum ins Netz einstellen.

Fan-Reaktion auf Prometheus Trailer:

Fan-Made-Trailer und Orginal-Trailer für Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey:

Hier sei auch an den Trailer zum Dokumentationsfilm The Artist is Present über die Künstlerin Marina Abrahomovic aus dem Jahr 2012 erinnert, der auf seltsame Weise zum Trailer der künstlerischen Arbeiten selbst wird. Vor allem die gleichnamige Performance The Artist is Present, in der sich Abrahmovic über mehrere Monate täglich Besuchern ihrer Retrospektive im MoMa NewYork gegenübersetzte, wird in den Mittelpunkt des Trailers gerückt. In einem Zusammenschnitt der „intensivsten Momente“ der 721 Stunden laufenden Performance erfährt die gerade in ihrer Dauer wirkende Arbeit eine seltsame Bedeutungsverschiebung oder gar -umkehrung.

Marina Abramović The Artist is Present von Matthew Akers (Trailer 2012)

Als eigenständige „Kurzfilme“ funktionierende Trailer:

Federico Fellini – La Dolce Vita (Trailer 1960):

Stanley Kubrick: „Dr.Strangelove Or:How I Learned To Stop Worrying And Love The Bomb“ (Trailer 1964)

Als Trailer konzipierte Videokunst:

Björn Melhus, The Castle (2007):

Selbst internationale Autorenfilme wie beispielsweise Michael Hanekes neuer Film Amour (F/ GER/ AUT, 2012), die durch die Teilnahme an einem der großen Filmfestspiele eigentlich schon eine gewisse Popularität erlangt haben, kommen nicht mehr um das Produzieren emotionalisierender Trailer herum, um für den Film zu werben.

Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte und der grundlegenden Funktionsweise des Trailers möchte ich drei Fragestellungen für den Trailer behandeln, die ihn mit künstlerischen Strategien konfrontieren: Der Trailer als Teil eines medialen Environments? Der Trailer als paratextueller Collagenfilm? Der Trailer als zeitbündelnde und unmittelbar wirkende Darstellung? Die Betrachtung dringt dabei von äußeren Aspekten immer tiefer in die innere Struktur des Trailers vor. Bei der Auswahl der drei bearbeiteten Teilbereiche gehe ich jeweils von der Annahme aus, darin spezifische Momente einer Autonomie gegenüber dem übergeordneten Film zu erkennen. Indem ich diesem Aspekte des Trailers durch die Augen künstlerischer Verfahren betrachte, erhoffe ich mir grundlegende Strukturmerkmale herauszuarbeiten, die der Trailer als Container für eine kreative Nutzung bieten könnte. Dies soll Thema des vierten Gliederungspunkts sein.

 

2. Einführung in das Format Trailer

2.2 Die klassische Periode des Trailers:

In der klassischen Periode des Trailers bis ca. 1970 trägt der Kinofilm vorwiegend den Status eines ausdifferenzierten Einzelprodukts. Die Story der Filme gilt als etwas, das den Kern eines jeden Kinoerlebnisses ausmacht und deshalb von den Filmemachern jeweils aufs Neue entwickelt werden muss. Für die Konzeption und Informationsvergabe des Trailers hat dies zur Folge, dass zu dieser Zeit in erster Linie Stars, Spektakel, Schauplatz, Action und Atmosphäre als Verkaufsargumente in der Filmreklame herangezogen werden. Informationen zur Story werden hingegen unter der Annahme damit das Produkt vorwegzunehmen weitestgehend vermieden. Trailer mit klassischer Struktur wie z.B. zum Film Cassablanca (Michael Curtiz‘, 1942) folgen deshalb einem so genannten „Rätselplot“, dem gezielten Auslassen des zentralen Storyaspekts, um so beim Publikum eine Neugier in Bezug auf den Film zu wecken. Klassische Trailer geben zwar eine Vorstellung vom Filmgenre, lassen jedoch immer genug Raum zum „rätseln“ über die narrativen Zusammenhänge der gezeigten Filmausschnitte.

Der Trailer zu Cassablanca von  Michael Curtiz‘, 1942:

Die formale Struktur des Trailers verändert sich dabei über die Jahrzehnte immer wieder. Vinzenz Hediger nennt den Trailer in diesem Zusammenhang ein „parasitäres Format“, da er sich in seiner Entwicklung stets durch Elemente bereits etablierter Formate erneuert. So ähnelt der Trailer in seiner frühen Phase bis ca. 1928 animierten Plakaten und Inseraten, die extra fiktional direkt an das Publikum adressiert sind. Die ersten Tonfilmtrailer ab 1928 mit ihren direkten Ansprachen an das Publikum (ein Relikt aus Zirkus näheren Tagen22) und einem „pseudojournalistischem“ Tonfall lehnen sich wiederum an Radioshows und Bühnenunterhaltung der damaligen Zeit an (noch Alfred Hitchcock bediente sich 1963 auf ironische Art und Weise in seinem legendären Trailer zu Die Vögel dieses Prinzips)

Alfred Hitchcock: Die Vögel (Trailer 1963)

2.3 Die zeitgenössische Periode des Trailers

Ein Paradigmenwechsel in der Trailerstruktur vollzieht sich – bedingt durch ein verändertes Konsumverhalten und eine Ausdifferenzierung des Marktes – in den 1970er Jahren und führt nach Hediger zur so genannten „narrativen Wende“. Für die Konzeption des Trailers in der zeitgenössischen Periode bedeutet dies im Unterschied zur klassischen Periode, dass Informationen zur Story kein no-go mehr darstellen und es nun vermehrt zu Plot Zusammenfassungen innerhalb des Trailers kommt. Das Konzept des „ankündigenden Zeigens“ von Filmausschnitten weicht nun dem Prinzip des „storytelling as selling“, dem Geschichtenverkaufen durch ein Geschichtenerzählen. Im Trailer findet fortan, wie Hediger es bezeichnet, ein Diskurs durch den Film im Gegensatz zu einem Diskurs über den Film statt. Nicht mehr die Studios oder der Star unterrichten das Publikum extra-fiktional vom nächsten großen Kinoereignis, sondern die erzählte Welt und ihre Protagonisten werden selbst zum Überbringer der „Botschaft“. Auf schnitt-technischer Ebene trägt die Einführung der „polyphonen Montage“ in die Trailerproduktion, die in ihrer Entkoppelung von Bild und Ton plötzlich in der Lage ist größere Zusammenhänge als noch das „continuity editing“ früherer Zeiten zu beschreiben, wesentlich dazu bei, hoch komprimierte Simulationen des Filmplots zu erstellen.

Der vermutlich erste Trailer, der die polyphone Montage einsetzt: The Night of Iguana
(USA 1964) von John Huston:

Für die Filmproduktionen hat dies zur Folge, dass nun originäre Umsetzungen für allseits bekannte Storyverläufe in den Vordergrund rücken, die auch nach mehrmaligem Konsum noch einen Reiz auf die Zuschauer ausüben. Insbesondere die vermehrte Anzahl an Sequels, Remakes bekannter Filmstoffe oder Romanverfilmungen seit dieser Zeit verdeutlichen diesen Wandel in der Filmrezeption. Ein gutes Beispiel, das dies veranschaulicht, ist der unglaubliche Erfolg des Sci-Fi Märchens Star Wars von George Lucas aus dem Jahr 1977.

Star Wars von George Lucas (Trailer 1977):

Mit der Ausdifferenzierung des Filmmarktes und dem Wandel hin zu einer storyzentrierten Filmvermarktung in den 70er Jahren beginnen sich Werbediskurs und beworbener Film zunehmend gegenseitig zu durchdringen. Es entstehen in diesem Zeitraum laut Vinzenz Hediger die ersten sogenannten „high concept“ Filme wie Steven Spielbergs „Jaws“ (USA 1975) oder George Lucas‘ „Star Wars“ (USA 1979), die sich durch Hervorhebung von Look und Stil, der Herausbildung von Kernsignets und durch eine „sorgfältige Abstimmung zwischen dem Film und den Formen seiner Vermarktung“ auszeichnen. Von Steven Spielberg stammt aus dieser Zeit auch die Aussage “If a person can tell me the idea in 25 words or less, it’s going to make a pretty good movie.“

Jaws von Steven Spielberg aus dem Jahr 1975:

3.1 Der Trailer als Teil eines medialen Environments

3.1.2 Das Mainstreamkino als mediales Environment

Waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bilderwelten des Films noch allein an Ort und Zeit des Kinos gebunden, so sind sie heute über mobile Abspielgeräte wie Smartphone, Netbook und Tablet jederzeit und überall abrufbar. Der Film wird dazu in kleinste Einheiten aufgeteilt, die sich, aus ihren Zusammenhängen gelöst, vervielfacht, neu kombiniert und als Teaser oder Trailer in den medialen Raum installiert, direkt in unseren Alltag integrieren. Auf die Filmerzählung bezogen ergibt sich für den Betrachter so im Vorfeld der Filmveröffentlichung zunächst nur ein fragmentarisches und unvollständiges Bild. Der narrative Raum wird zwar durch die vielen visuellen Hinweise umrissen, jedoch nie vollends preisgegeben. Die Filmvermarktung erschafft eine Wahrnehmungsumgebung für das Publikum, bei der die Story des Films nur noch als ein Teil von etwas viel Größerem, einem ganzen Filmkosmos, erscheint. Film funktioniert hier nicht mehr nach traditionellen linearen Erzählmustern, sondern löst sich in ein Geflecht aus visuellen, fragmentarischen Eindrücken auf, die darauf drängen assoziativ miteinander verbunden und mit eigenen Vorstellungen angereichert zu werden. Wenn sich der Film aber derart massenmedialen Strukturen öffnet und seine Inhalte über mobile Abspielgeräte aus dem Kinosaal auslagert, dann verändert sich auch die Art seiner Rezeption: Das Kino heute entspräche in seiner Wahrnehmungsweise, so Burgin im Vorwort des Katalogs Solito Posto aus dem Jahr 2009, deshalb mittlerweile eher einem Environment, als beispielsweise einer am Objekt haftenden Malerei

Trailerkampagne zu Prometheus (2012) von Ridley Scott

Prometheus als Teil des Alienkosmos:

Viralkampagne:

https://www.weylandindustries.com/

https://www.weylandindustries.com/

https://twitter.com/David8Weyland

Digitally Expanded Cinema:

Burgins Gebrauch des Begriffs Environment im filmischen Zusammenhang lässt zudem an den ebenfalls in den späten 50er Jahren geprägten Begriff des Expanded Cinema erinnern. Heute erfahren diese Strategien eine Fortführung im Digitally Expanded Cinema. Mit den neu zur Verfügung stehenden digitalen Technologien und beeinflusst durch die Struktur des Internets oder durch Videospiele erprobt das Expanded Cinema eine Erweiterung des Kinos um interaktive Elemente, um so individuelle, nicht linear erzählende, raum-zeitliche Filmerlebnisse zu schaffen. Das Mainstreamkino mit seinen ausschweifenden medialen Werbekampagnen, wie ich sie für den Film Prometheus vorgestellt habe, überführt meiner Meinung nach auf gewisse Weise solche Strategien wie z.B. Interaktivität, non-lineares Erzählen, die Erweiterung des Films in den Raum oder die Aufsplitterung des Filmes auf mehrere Kanäle, die auf experimenteller Ebene in der Kunst entwickelt wurden, auf eine massenmediale Ebene. In diesem Zusammenhang könnten auch stark kommerziell genutzte Erweiterungen des Kinoerlebnisses, wie die aus den 70er Jahren stammende Dolby-Surround-Beschallung, der 3D Film oder die 180 Grad Projektionen der IMAX Kinos, verstanden werden, die eine fast taktile Präsenz des Filmes im Kino herbeiführen.

3.2 Der Trailer als paratextueller Collagenfilm

3.2.2 Der Trailer als Paratext am Beispiel Cloud Atlas

Der Trailer gibt dem Publikum mit dem auf diese Weise transportierten Slogan „Alles ist verbunden“ eine Interpretation oder „Leseanleitung“ des Films vorab mit auf den Weg und alle Bilder, die unter dieses Motto geschnitten sind, tragen fortan dieses Verständnis in sich; Und indem dies schon vor dem Filmerlebnis verdeutlicht wird, kann der Film vom Zuschauer von Anfang an „richtig“ rezipiert werden ohne davon verwirrt zu sein, dass hier sechs Geschichten, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, eine Erzählung ergeben sollen. Die Frage wie der Film ohne die Rezeption des Trailers gesehen worden wäre, stellt sich für solche groß angelegten Produktionen beinahe nicht mehr, da der Trailer fest in das Konzept des Filmes eingeplant wird (selbst wenn dies bei Cloud Atlas scheinbar zunächst auf den Druck von Verleihfirmen zurückzuführen war) und die große Medienpräsenz garantiert, das die Kinobesucher in den meisten Fällen in irgendeiner Weise vorinformiert wurden.

Der „Regiekommentar“ verdeutlicht, dass selbst die Regisseure letztlich die Funktion des Trailers als Rezeptionsanleitung des Films als nützliches Mittel für die Herstellung eins Filmverständnisses beim Publikum erachten und den Trailer deshalb bewusst in ihre filmische Konzeption einbeziehen

3.2.3 Die Differenz der Wiederholung

Kracauers Forderung nach einem Gleichgewicht zwischen Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit der Filmbilder am Beispiel Panzerkreuzer Potemkin von Sergej Eisenstein:

Am Ende des zweiten Teils seien es Bilder wie die Schatten der Matrosen, die ihren toten Kameraden eine Treppe hinauftragen oder die in lockerer Folge geschnittenen Eindrücke des morgendlichen Hafengeschehens mit den Silhouetten einfahrender Schiffe, die in ihrem Losgelöstsein von der sich erst langsam entwickelnden Handlung eine „Suggestivkraft“ entwickeln, die dem Betrachter die Möglichkeit gäben die Bilder in ihren zahlreichen „psychologischen Entsprechungen“ zu erleben, so Kracauer. Auf den Trailer übertragen, könnte man nun Folgendes ableiten: Indem im Trailer Filmausschnitte aus ihren exakten, narrativen Zusammenhängen herausgelöst, freigestellt und nicht auserzählt werden (sie werden nur in ein rudimentäres narratives Schema eingebunden), wächst ihre Unbestimmtheit im kracauerischen Sinn im Vergleich zum Film wieder an, ihre „Deutungsunbestimmtheit“ erhöht sich und damit wird ihre Wiederholung, wie auch Hediger bemerkt, im Film „keine identische sein, sondern eine Wiederholung mit Variation, ist doch der Kontext der Wiederholung – die Formgestalt des Films – von demjenigen des Zeigens – der Formgestalt des Trailers – erheblich verschieden.“

Sergej Eisenstein: Panzerkreuzer Potemkin (UdSSR 1925):

(Beispiel ab 0:31:00)

3.2.4 Filmische „Re-Artikulation“ im Experimentalfilm am Beispiel A Movie von Bruce Conner

Bruce Conner montiert die aus unterschiedlichsten Kontexten stammenden Bilder so in neue Zusammenhänge, dass die manipulative Kraft des kinematographischen Abbildungsverfahrens und deren Bedeutungsproduktion auf einfache, aber funktionierende Weise offengelegt werden. Gerade durch die Heterogenität der Bilder erschafft A Movie aus sich heraus einen eigenen Grad der Reflexion, spricht auf einer Metaebene über das Ausgangsmaterial und verdeutlicht, dass jede Wiederholung des Filmmaterials in einem neuem Rezeptionszusammenhang immer zu einer Differenz der Bedeutungen führt.

Bruce Conner: A Movie (1958)

http://www.artfem.tv/id;11/action;showpage/page_type;video/page_id;mercy_part_VII_of_the_series_is_this_what_you_were_born_for_by_abigail_child_flv/

3.3 Der Trailer als zeinbündelnde und unmittelbar wirkende Darstellung

3.3.4 Der Trailer als Peripetie-Sequenz am Beispiel The Dark Knight Rises

Israelits Gasthering Manna in the Desert von Nicolas Poussin: Faltung der Erzählmomente von einer Diachronizität in eine Synchronizität:

So stellt Poussin innerhalb einer Bildszene das Elend der Israeliten auf ihrer 40-Jährigen Wanderung durch die Wüste vor der Reichung des „Himmelsbrotes“ Manna mit der Zeit während und nach der Versorgung mit Manna dar. Burgin sieht in dieser zeitlichen Faltung der Ereignisse die Erzählung in ihrer Darstellung aus dem sprachlichen Korsett der Sukzession herausgelöst und in eine Gleichzeitigkeit gebracht.157 Die einzelnen Erzählmomente erscheinen, ähnlich wie in einem sequence-image, zeitlich gleichberechtigt ineinander verwoben, ihren autonomen Charakter bewahrend und geben dem Betrachter so den Eindruck eines zeitlich gedehnten, alle Elemente zu einem heterogenen Erzählraum verbindenden „Jetzt“. So entsteht eine unmittelbar wirkende Darstellung, die dem Rezipienten gleichzeitig den zukünftigen und vergangenen Verlauf der Geschichte transportiert.

Das Umschlagen einer Diachronizität in eine Synchronizität der Erzählmomente beispielhaft am Trailer zu Christopher Nolans The Dark Knight Rises:

Der radikal beschleunigte Bildfluss in diesem letzten Teil des Trailers zu The Dark Knight Rises lässt das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit dergestalt kippen, dass er sich aus einem anfänglichen Bildfluss am Ende in ein fließendes Bild verwandelt. In der zunächst sukzessiven Erzählweise, einem strukturierten Nacheinander der Erzählmomente, erfüllt der Trailer als Nacherzählung die Aufgabe sich im Film oftmals kompliziert darstellende Handlungszusammenhänge mit der Systematik eines Dreiaktschemas in eine einfache diachrone Reihenfolge aufzulösen. Vor allem die abschließende Schnittsequenz jedoch überführt die Handlung in eine synchrone Darstellung, sozusagen in ein Bild im Fluss. In der Wahrnehmung nehmen die vorgeführten Bildfolgen die Gestalt von Erinnerungsfetzen an.160 Sie bilden spontan ein emotionales Ereignis, das seine Gleichwertigkeit und Gleichintensität mit echten erinnerten affektiven Erfahrungen behauptet. Auf emotionaler Ebene setzt dadurch, ähnlich wie in der Wahrnehmung des sequence image, das Burgin als „more ‚object‘, than narrative“ bezeichnete, eine Art Vergegenständlichung der Darstellung ein. Am Beispiel The Dark Knight Rises zeigt sich dies auf besonders anschauliche Weise, da der Trailer sich auch in seiner Gesamtheit als Peripetiemoment bzw. als Peripetiesequenz der Erzählung gestaltet. Der Trailer entwickelt hier eine weitere Möglichkeit seiner Autonomie vom Film. Er ist nicht länger bloßer Verweis, sondern autarke, gegenwärtige Darstellung. Liegt hier, wie im Begriff der Peripetie erläutert, nicht auch die Möglichkeit durch den Wechselbezug von Diachronizität und Synchronizität medial eine Art Überzeitlichkeit zu gestalten, ein irgendwie andauerndes „Jetzt“, oder anders ausgedrückt eine Unmittelbarkeit der Bilder?

4. Der Trailer als Container

Neben dem vordergründigen Verständnis des Trailers als „Container“ also als einer Struktur,in der unterschiedliche Inhalte lediglich gesammelt, aufbewahrt und/ oder vermischt werden können, lenkt die psychoanalytische Verwendung des Begriffs den Fokus auf einen tiefergehenden Aspekt, die Funktion der Übermittlung, des Transports, der Übertragung und Übersetzung, wie er im Begriff der Transformation anklingt. Durch die Übertragung oder Übersetzung entsteht am Ende Bedeutung, aus dem nur schwer oder gar nicht fassbaren Gefühl eine sprachliche Form, die im Bildmedium des Trailers als eine Darstellung gesehen werden kann. Zunächst verweist die Funktion des Containers im Sinn einer Transformation auf einen eher allgemeingültigen Aspekt künstlerischer Tätigkeit, denn es gehört zu einem populären Verständnis von Kunst, dass der Künstler subjektive, emotionale oder theoretische Inhalte z.B. im Fall der Literatur zur Sprache oder im Fall der bildenden Kunst in Form eines Gemäldes zur Darstellung bringt. Von Interesse ist das Ergebnis, nicht so sehr der Vorgang. Etwas anderes geschieht im Bereich der prozesshaften bzw. Aktionskunst, etc. Hier werden die Betrachter Zeugen des Transformationsprozesses selbst und im Bereich der neueren Medienkunst sogar selbst zu Beteiligten. In jedem Fall jedoch, sei es immanent oder explizit, leistet ein Kunstwerk eine Übertragung auf seiner formalen Ebene, es bringt latenten Inhalt zur Darstellung, verwandelt ihn in einen manifesten Gehalt.

Gregor Schneider, CUBE: Integration verschiedener voneinander getrennter Inhalte durch das Kunstwerk:

Bei der Betrachtung des Trailers als Teil einer Werbekampagne, die als weitere Elemente Viralclips, Internetauftritte, Plakate, etc. beinhaltet, wurde diese Kampagne als mediales Environments beschrieben. Das Zusammenspiel der medialen Elemente im Betrachter auch über die einzelne Kampagne hinaus wurde mit Burgin als eine Cinematic Heterotopie verständlich. Der Trailer als Format kann in diesem Zusammenhang als autonomer Teil eines erzählerischen Raums gesehen werden, der zum jeweils eigenen narrativen Erfahrungsraum vom Betrachter ausgebaut wird. Die Entsprechung im Konzept des Containers findet sich in der oben angesprochenen Funktion der Integration. Indem der Trailer als Container fragmentierten Anteilen des Films im zeitlichen Vorfeld eine gemeinsame Bedeutung gibt, umspannt er alle in diesemmVorfeld platzierten weiteren Bruchstücke. Allgemeiner ausgedrückt: Wie bei der Wirkung eines Katalysators bei einer chemischen Reaktion kann ein entscheidendes Element aus einem beliebigen Umfeld ein als sinnvoll erfahrbares Environment entstehen lassen; d.h. aus diesem Prinzip heraus kann es möglich werden, durch Setzung einer integrativ wirksamen
Komponente, bereits vorher vorhandene bis dahin unabhängig voneinander bestehende Elemente durch die Herstellung eines Sinnzusammenhangs in ein übergeordnetes Konzept zu integrieren. Bedeutung führt hier zu Integration. Das Ergebnis wäre eine Heterotopie, deren ursprüngliche Bestandteile auch weiterhin als disparat oder heterogen erfahren werden können, gleichzeitig jedoch in einem neuen plausiblen Bedeutungsrahmen stehen.

Ceal Floye, ‚Til I Get It Right: Subtexte des appropriierten Materials „sprechen lassen“.

Für den nächsten besprochenen Aspekt des Trailers, der Prae-Kombination der Filmversatzstücke, wie er im Zusammenhang mit seiner paratextuellen Rolle erörtert wurde, lässt sich nun ebenfalls das Prinzip des Containens nachvollziehen: Im Unterschied zur metatextuellen Funktion in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Ursprungsmaterial und dessen kritisch-analytischen Präsentation, geht es hier um das künstlerische Potential gerade der paratextuellen Eigenschaften eines Werkes. Im Konzept des Containens kann die mit Krakauer festgestellte jeweilige Vieldeutigkeit des Materials, sein Bedeutungsüberschuss, den unbewältigten Affekten im therapeutischen Zusammenhang entsprechend gesehen werden. In der Re-Organisation oder nach Hediger der „Re-Artikulation“, klingt die ordnende und transformierende Arbeit des Containens an. Es wird hier jedoch kein Diskurs über, sondern mit dem Bildmaterial geführt. Dazu wird dem Material erlaubt, frei zu interferieren, sich zu überlagern, um mittels des assoziativen Gestaltungsbeitrags des Betrachters neue Bedeutungszusammenhänge zu produzieren. Die so entstehenden Bedeutungen heben die ursprüngliche Unverständlichkeit bzw. Unvereinbarkeit der Bildinhalte auf, schaffen eine Art Korrespondenz der Teile, und vermitteln plausibel eine neue Übereinstimmung und Zusammengehörigkeit, eine Identität. Im Ergebnis entsteht ein narrative-image oder allgemeiner ein Werk, das aus seiner assoziativen Wechselwirkung mit dem Betrachter heraus existiert, wodurch es, ursprünglich aus unterschiedlichen Zusammenhängen stammende Komponenten in eine neue Identität überführt.

Janet Cardiff und George Bures, Alter Bahnhof Video Walk: Faltung der Zeit zu einer subjektiven und unmittelbaren Gegenwärtigkeit.

Die Betrachtung des Trailers als Darstellung einer Darstellung im dritten Abschnitt dieser Arbeit und einer aus dieser Interpretation resultierenden Beschreibung seiner narrativen Form, führt nach Hediger über die Rolle des Begehrens schließlich zum Motiv der „antizipierten Erinnerung“. Die „antizipierte Erinnerung“ stellt eine Reaktion des Betrachters auf die im Trailer angelegten narrativen Lücken dar. Die „antizipierte Erinnerung“ bedeutet in diesem Zusammenhang den Schritt aus der Unübersichtlichkeit und Lückenhaftigkeit. Vergegenwärtigt werden dabei die als Prinzip verinnerlichten Erfahrungen von Kohärenz, z.B.im Stereotyp einer Story. Diese können auf das aktuelle Material übertragen werden und stellen es ins Licht zu erwartender Nachvollziehbarkeit. Die entscheidende Bedeutungsgebung in diesem Fall geschieht sozusagen als Anleihe auf früher erfahrene semantische Zusammenhänge, bzw. als Option auf Kohärenz in der Zukunft. Es erfolgt eine Vergegenwärtigung vergangener und zukünftig zu erwartender Sinnzusammenhänge. Der Moment der Gegenwärtigkeit bringt die „antizipierte Erinnerung“ Hedigers und das sequence image Burgins in Wechselbeziehung. Auch in diesem Konzept geht es um die Faltung unterschiedlicher Zeitebenen auf einen „present moment“, ein „Jetzt“. Hierbei wird eine Erzählstruktur aus ihrer diachronen Form in eine synchrone Form überführt, wobei gerade die Anreicherung mit Erinnerungselementen unterschiedlicher Herkunft, sei es aus real erfahrenen Ereignissen, sei es aus Filmerfahrungen, zu einer Verwischung der zeitlichen Zusammenhänge führt. Eine hohe Komplexität und Unterschiedlichkeit des Materials ist dabei geradezu die Voraussetzung für die Eigenständigkeit der mentalen Bildsequenz. Im Konzept des Containments erfolgt eine Transformation oder Übersetzung aus einer Mittelbarkeit in eine Unmittelbarkeit. Mittelbarkeit steht für die Abhängigkeit von einer Erzählstruktur, von einem Zuvor und Danach, Unmittelbarkeit dagegen für die Erfahrung einer Art plötzlichen und voraussetzungslosen Relevanz. Bedeutung im Sinn des Containens zeigt sich hier als Evidenz. Evidenz besagt, dass die in das Kunstwerk investierten eigenen Erfahrungen den Status einer Gewissheit oder Zwangsläufigkeit erhalten und, wie im Konzept der Peripetie verdeutlicht, den Betrachter einer für ihn überraschenden Gegenwart aussetzen, in der größere raum-zeitliche, narrative Zusammenhänge gebündelt sind.